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Erwachsen werden

Kennst du das?

„Ich bin total genervt: ständig will meine Mutter mit mir über meine Therapie reden. Sie glaubt, dass ich mein Asthma nicht im Griff habe und hat Angst, dass ich einen schweren Anfall bekomme. Klar könnte ich mehr machen. Aber mir ist es gerade wichtiger, Zeit mit meinen Freunden zu verbringen und einfach mein Leben zu genießen.“

Kommt dir die beschriebene Situation bekannt vor? Dann kannst du die Position von Lukas wahrscheinlich gut nachvollziehen. Aber kannst du auch die Situation seiner Mutter verstehen?

Auch wenn dir deine Eltern manchmal streng und wenig verständnisvoll erscheinen, wollen sie nur dein Bestes. Für sie ist es nicht leicht, die Verantwortung für deine Krankheit an dich abzugeben. Sie haben Sorge, dass sich deine Gesundheit dadurch verschlechtern könnte und sie wollen natürlich, dass du ein gesundes, erfülltes Leben führen kannst. Leider vergessen sie dabei manchmal, dass du in erster Linie nicht krank, sondern jugendlich bist – mit all den Wünschen und Zielen, die andere in deinem Alter haben.

Veränderungen in der Pubertät

Dein Körper und dein Kopf sind gerade Großbaustellen. Denn die Pubertät ist die Lebensphase mit den größten Veränderungen. Aber sei beruhig – diese Phase geht vorbei. Mit ungefähr 17 Jahren hast du das Gröbste hinter dir.

Körperliche Veränderungen

Im Alter von 10-12 Jahren gibt dein Gehirn den Startschuss: Dein Körper beginnt mit einer vermehrten Hormonproduktion. Größenwachstum, zunehmende Körperbehaarung, Ausbildung von Schweißdrüsen, unreine Haut etc. sind die Folge. Ziel ist die Geschlechtsreife.

Bei Jungen sorgt das Hormon Testosteron für das Wachstum von Penis und Hoden. Der Stimmbruch setzt ein und der Bartwuchs beginnt. Es kommt zum ersten Samenerguss. Langsam prägen sich auch die Muskeln aus, so dass die Proportionen des Körpers männlicher werden.

Bei Mädchen lässt das Hormon Östrogen die Brüste und die Vulva wachsen. Die Gebärmutter bildet sich aus und der monatliche Zyklus setzt ein. Außerdem verbreitert sich das Becken, die Taille wirkt dadurch schmaler: Der Körper entspricht der typisch weiblichen X-Form.

Veränderungen des Denkens

Auch in deinem Gehirn verändert sich einiges: Nervenverbindungen, die nicht mehr genutzt werden, gehen verloren. Andere werden dafür stärker ausgebildet. Außerdem legt sich eine Art Fettschicht um die Nervenfasern, damit Impulse schneller weitergeleitet werden können.
Am Ende dieses Umbauprozesses bist du zu komplexen, logischen Denkvorgängen in der Lage. Du kannst in die Zukunft planen und dein Verhalten entsprechend ausrichten – genauso (gut oder schlecht) wie Erwachsene auch.

Bis dahin wird es dir allerdings nicht leicht fallen:

  • strategisch zu planen,
  • Entscheidungen zu treffen,
  • Informationen im Kopf zu behalten und
  • unpassendes Verhalten zu unterdrücken.

Emotionale Veränderungen

Begeisterung, plötzliche Traurigkeit, Wut …. Die Pubertät ist durch starke Emotionen und ihren schnellen Wechsel geprägt. Auch Antriebsarmut und hohe Risikobereitschaft gehören dazu. Verantwortlich dafür sind die Umbauprozesse im Gehirn und die Schwankung der Hormone.

Hinzu kommt die Suche nach dem eignen Weg. Die Fragen „Bin ich normal?“, „Wie sehen mich andere?“ und „Wie will ich sein?“ bestimmen daher diese Phase. Bis du deinen eigenen Körper akzeptierst und deine Identität ausgebildet hast, kann es vorkommen, dass du immer mal wieder unter (massiven) Selbstzweifeln leidest.

Auch die neuen Anforderungen und Entscheidungen, die du treffen musst, können zu Verunsicherung führen. Du kannst dich daher auch schnell überfordert fühlen und reagierst dann vielleicht auch sehr emotional. Stabilität kann dir ein Hobby, eine sinnstiftende Aufgabe oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe geben.

Soziale Veränderungen

Die Pubertät ist die Zeit der Abnabelung von den Eltern. Es ist daher ganz normal, wenn du weniger Interesse an Familienaktivitäten hast und lieber alleine bist oder dich mit deinen Freunden treffen möchtest.

Zudem ist die Pubertät die Phase der ersten Verliebtheit. Beim Auseinandersetzen mit dem eigenen Geschlecht und der Sexualität werden mitunter typische Geschlechterrollen angenommen: Jungen entwickeln Macho-Gehabe; Mädchen fokussieren sich auf ihr Aussehen. Dabei wird die Wirkung auf andere erforscht – kennst du das auch von dir?

Pubertät und chronische Krankheit

Durch deine Krankheit stehst du vor zusätzlichen Herausforderungen:

Du musst immer mehr Verantwortung für deine Gesundheit übernehmen und dich selbst um dein Krankheitsmanagement kümmern.
Du erlebst deine Krankheit vielleicht als Makel und versuchst, sie vor anderen zu verstecken.
Durch Arzttermine, Klinikaufenthalte etc. hast du weniger Zeit, um dich mit deinen Freunden zu treffen.
Aktivitäten wie Festivalbesuche oder Wochenendtrips müssen genau geplant werden. Oder schlimmer – deine Eltern verbieten sie dir wegen des Risikos.
Wenn du an die Einschränkungen durch deine Krankheit oder deine Zukunft denkst, kommst du vielleicht ganz schön ins Grübeln. Und wenn es dann mit der Therapie nicht so klappt, kommt noch Frust dazu.

Konflikte mit deinen Eltern

Auseinandersetzungen mit den Eltern gehören leider genauso zur Pubertät wie Pickel und Selbstzweifel. Konflikte drehen sich z. B. ums abendliche Weggehen, Schule, Geld und natürlich dein Krankheitsmanagement. Verständnis und Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten können helfen, entspannt zu bleiben.

Die Streit-Regeln

Klare Regeln helfen
z. B. Welche Pflichten in Schule, Haushalt oder Therapie hast du zu erfüllen, wenn du abends länger ausgehen möchtest? Welche Vorkehrungen sind nötig, wenn du woanders übernachten willst? Da du immer selbständiger wirst, müssen die Regeln regelmäßig aktualisiert werden.
Sei kompromissbereit
Du kannst von deinen Eltern nicht erwarten, dass sie dir alles erlauben. Ein Mittelweg ist besser als ein Verbot!
Versucht, euch in den anderen hineinzuversetzen
Was ist deinen Eltern wichtig und was dir? Ist der jeweilige Wunsch nachvollziehbar?
Sei ehrlich und offen
Erzähl deinen Eltern, was du vorhast und wen du triffst. Sag auch, wenn dir etwas Probleme oder Sorgen bereitet. Das gibt deinen Eltern Sicherheit.
Fragt einen Experten
Wenn ihr unsicher seid, wie sich etwas auf deine Gesundheit auswirkt (z. B. Alkohol oder ein langer Abend im Club), geht gemeinsam zum Arzttermin. Ihr könnt dann auch überlegen, wie man deine Therapie an deine aktuelle Lebensphase anpassen kann. Dein Behandlungsteam ist mit der Situation von jungen Menschen vertraut. Vielleicht gelingt es ihnen, deinen Eltern die größten Ängste zu nehmen.
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Hotel Mama oder die eigenen vier Wände?

Mit dem Erwachsenwerden geht eine weitere große Veränderung einher: Du wirst von zu Hause ausziehen. Endlich deine Freiheit genießen, endlich alleine entscheiden, was du willst, endlich keine Kontrolle mehr …

Doch mit dem Auszug sind auch weniger angenehme Dinge verbunden: Von nun an bist du selbst für dich und deinen Haushalt verantwortlich. Pflichten wie Einkaufen, Kochen und Putzen liegen nun alleine bei dir. Hinzu kommt, dass du im Vergleich zu anderen jungen Erwachsenen (spätestens) mit dem Auszug dein Krankheitsmanagement selbst übernehmen musst.

Vielleicht hast du daher Zweifel, ob du diesen Schritt wagen sollst oder lieber noch ein bisschen die Vorzüge des „Hotel Mama“ genießen willst, bis du dich sicherer fühlst.

Auch das ist in Ordnung: Finde deinen eigenen Zeitplan!

Mach dir klar, was es bedeutet „auszuziehen”

Du nabelst dich von deinen Eltern ab. Du gehst einen großen Schritt in Richtung Selbstständigkeit und Unabhängigkeit.
Du übernimmst viele Pflichten und Aufgaben, die bisher von anderen erledigt wurden.
Traust du dir zu, dich alleine um die Krankheit zu kümmern: Arztbesuche planen, Medikamente und Hilfsmittel vorrätig haben, an die Medikamente denken etc.? Sind akute Notfälle möglich? Braucht es dafür „Sicherheitsmaßnahmen”?
Welche Wohnform ist für dich am besten geeignet: alleine wohnen, mit dem Freund/der Freundin oder Wohngemeinschaft? Wenn du viel Unterstützung benötigst, kommt vielleicht auch eine betreute Wohngruppe oder betreutes Wohnen in Frage.
Wie finanzierst du deine Wohnung? Reicht das Geld? Hast du Anspruch auf BAföG, persönliches Budget oder andere Zuschüsse?

Tipps für den Auszug

1

Nicht nur für dich, auch für deine Eltern ist der Auszug mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden. Sprecht daher über eure Bedenken und überlegt gemeinsam, wie ein guter Weg für dich (und für sie) aussehen kann. Vielleicht helfen regelmäßige Telefonate oder WhatsApp-Nachrichten in der Anfangszeit, um euch allen Sicherheit zu geben?

2

Bei schwerwiegenden Erkrankungen oder Erkrankungen mit akut lebensbedrohlichen Zuständen wie Asthma, Diabetes oder Epilepsie kann das Zusammenleben mit anderen Sicherheit geben. Ob mit Freund/Freundin, WG oder Wohnheim – hier sind andere Menschen, die ein Auge auf dich haben können. Und wenn du doch alleine leben willst, kannst du zumindest Nachbarn einen Schlüssel geben.

3

Kläre mit deinem Behandlungsteam, was zu berücksichtigen ist: Weißt du alles Notwendige über deine Krankheit? Weißt du, welche Maßnahmen im Notfall nötig sind? Welche Spezialisten für deine Krankheit gibt es am neuen Wohnort? Tipps für den Arztwechsel findest du hier.

„Ich bestimme über mein Leben, nicht meine Krankheit!”

Interview mit Alina (18 Jahre), die die seltene Hauterkrankung Epidermolysis bullosa (Schmetterlingskrankheit) hat, und ihrer Mutter Michaela.